Am 6. und 8. Mai 2021 fand online das Nyéléni-Frühjahrstreffen der Bewegung für Ernährungssouveränität statt.
Als ersten Teil gab es eine Podiumsdiskussion zum Thema ‚Gute Arbeit für alle‘: Durch die Coronakrise ist deutlich geworden, dass unumgängliche Arbeitsbereiche wie Landwirtschaft und Pflege völlig unterbezahlt sind und die Arbeit vielfach von Migrant_innen geleistet wird. Doch wie steht es in Krisenzeiten um Rechte und Arbeitsbedingungen in Landwirtschaft und Pflege? Wie können Rechte von Kleinbäuer_innen durchgesetzt werden? Wie haben sich Grenzen in Europa durch die Coronakrise verschoben und wo bleibt der europäische Solidaritätsgedanke?

Video und Nachlese zur Podiumsdiskussion am österreichischen Frühjahrstreffen 2021 der Bewegung für Ernährungssouveränität.

Podiumsdiskussion: Gute Arbeit für alle

Bericht von Yolanda Schrag

Julianna Fehlinger von der ÖBV – Via Campesina Austria begrüßt die allesamt online Zusehenden und stellt das Thema sowie die vier Teilnehmer_innen der Podiumsdiskussion vor. Das Ziel ist unter anderem, ein ganzheitlicheres Bild davon zu bekommen, was die Coronakrise mit der Bewegung für Ernährungssouveränität gemacht hat, und wie es damit zusammenhängend um Rechte und Arbeitsbedingungen in Landwirtschaft und Pflege steht.

Cordula Fötsch berichtet von der Sezonieri-Kampagne für die Rechte von Erntearbeiter_innen, die gerade zu Beginn der Coronakrise große Medienaufmerksamkeit bekommen hat. Das hatte zur Folge, dass plötzlich die systemische Abhängigkeit österreichischer Landwirtschaft von ausländischen Arbeiter_innen viel stärker sichtbar wurde. Jedoch sind auch die Arbeiter_innen stark von ihren Arbeitgeber_innen abhängig, was in der Pandemie durch die Einschränkung der Reisefreiheit nochmal deutlich verschärft wurde. Es war zu Beginn beispielsweise unklar, ob eine Abreise bei Konflikten überhaupt möglich sei. Außerdem waren die Arbeiter_innen oftmals einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt durch die Nichtgewährleistung der Hygienemaßnahmen auf dem Feld und in den Unterkünften. Neben den konkreten Unterstützungen von Erntearbeiter_innen auf Feldern in Österreich, setzt sich die Sezonieri-Kampagne auch für die Verankerung der sozialen Konditionalität in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU ein. Das bedeutet, dass die Vergabe öffentlicher Gelder in der Agrarpolitik an die Einhaltung von Arbeitsrechten gebunden werden soll. Da Arbeiter_innen bisher nur sehr eingeschränkt die Möglichkeit haben, ihre Rechte einzufordern und Verletzungen kaum sanktioniert werden, wäre diese Regelung eine wichtige und wirkungsvolle Gegenmaßnahme.

Flavia Matei ist bei Drept aktiv, einer Interessensvertretung der 24-Stunden Betreuer_innen. In dieser Branche arbeiten österreichweit über 60.000 vor allem Frauen, wobei über 90% Migrant_innen sind, vor allem aus osteuropäischen Ländern wie Rumänien oder der Slowakei. Daher erschwert, ähnlich wie bei den Erntearbeiter_innen, die Sprachbarriere und der stark begrenzte Zugang zu Interessensvertretungen und Informationen die Durchsetzung ihrer Rechte. Als Unterschied hebt Flavia hervor, dass die Betreuer_innen vor der Pandemie überhaupt nicht sichtbar waren. Erntearbeiter_innen werden, eben, zumindest am Feld gesehen; Frauen die in den Haushalten arbeiten sind nicht sichtbar. Durch den Fokus auf die Arbeit mit einer Risikogruppe änderte sich das dann schlagartig – sogar dahingehend, dass Medienvertreter_innen auch mit Betreuer_innen selbst gesprochen haben. Aufgrund der starken Abhängigkeit und der mangelnden Mitbestimmung trotz scheinbarer Selbstständigkeit der Arbeiter_innen entstand Drept als von den Betreuer_innen selbstorganisierte Interessensvertretung. Obwohl die Selbstorganisierung in der Pandemie einen großen Aufschwung erhielt, fehlt laut Flavia der politische Wille, den strukturellen Rahmen zu reformieren, gänzlich. Problematisch ist dabei vor allem die Schein-Selbstständigkeit der Betreuer_innen und das fehlende Einschreiten des Staates, leistbare qualitative Betreuung mit besseren Arbeitsbedingungen für Fachkräfte zu vereinbaren.

Mit Attila Szocs verlassen wir den nationalen Blick: Er arbeitet bei EcoRuralis in Rumänien, einer Organisation für Kleinbäuer_innen mit über 13.000 Mitgliedern, die ebenso wie die ÖBV Teil von La Via Campesina ist. Rumäniens Landwirtschaft ist geprägt von viel Selbstversorgung als auch Marktorientierung. Gleichzeitig ist Rumänien Herkunftsland vieler Saisonarbeiter_innen für die Erntearbeit beispielsweise in Österreich. Die meisten Arbeitsmigrant_innen kommen vom Land und viele Kleinbäuer_innen hinterlassen für einige Zeit ihre eigene Landwirtschaft. Dadurch erhöht sich der Druck durch spekulative Interessen und Landgrabbing. Zu Beginn der Pandemie erlebten die Bäuer_innen große Verunsicherung, insbesondere bezüglich Mobilität: Einerseits wurde diese stark eingeschränkt und zum Beispiel lokale Bauernmärkte geschlossen – während Supermärkte offen blieben. Andererseits wurden viele Arbeiter_innen völlig unkontrolliert ohne Sicherheitsmaßnehmen in Charterflügen nach Österreich, Deutschland, Italien oder Spanien gebracht. Als positives Mittel für die Kämpfe um gerechtere Arbeitsbedingungen zieht Attila die UN-Deklaration über die Rechte von Kleinbäuer_innen heran. EcoRuralis kämpft auch für die soziale Konditionalität in der GAP. Letztere wird sowohl in Rumänien als auch in Österreich von den Landwirtschaftsministerien abgelehnt. Auf nationaler und europäischer Ebene setzt EcoRuralis sich auch für einen sicheren Zugang zu Land für Kleinbäuer_innen ein. Auch auf Ebene der FAO wirken sie mit und bauen außerdem ein immer größeres Netzwerk, beispielsweise mit Akademiker_innen auf.

Schließlich berichtet noch Maria Vogt, eine Bäuerin aus dem Weinviertel, die schon lang bei der ÖBV- Via Campesina aktiv ist, von den aktuellen Entwicklungen der österreichischen Agrarpolitik. Sie spürte den Boom, in der Coronakrise lokal einzukaufen, stark, der sich auch durch immer mehr spontane Verkaufsstände zeigte. Dabei war die Erlaubnis zur Öffnung der Bauernmärkte lokal sehr unterschiedlich. Trotz mehr Direktvermarktung fielen für viele Bäuer_innen wichtige Absatzmärkte beispielsweise in Tourismus und Gastronomie weg und Preise sanken. Mit Sorge betrachtet Maria auch die durch Isolierung steigende Individualisierung. Trotz Hoffnung auf Veränderung enttäusche die Politik mit einer Fortführung bisheriger problematischer Strukturen. Trotzdem werden im Rahmen der veränderten Möglichkeiten zentrale politische Kämpfe fortgeführt, beispielsweise für eine bessere Gemeinsame Agrarpolitik der EU. Dabei setzt sich unter anderem die ÖBV dafür ein, dass die GAP medial nicht unter Corona verschwindet, da sie mit dem Green New Deal eine wichtige Stellschraube für eine sozial-ökologische Zukunft bietet. Das österreichische Agrarministerium lässt jedoch kaum Veränderungen in diese Richtung zu. Daher übt die ÖBV politischen Druck aus, indem sie unter anderem mit Birdlife und Global 2000 eine Studie veröffentlichte, die aufzeigt, dass die geplante GAP die Ziele des Green Deals verfehlen würde.

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